1963 machte er Ernst. Der Unternehmer und Mäzen Werner Reimers verkündete anläßlich seines 75. Geburtstag am 3. August ´63 die Einrichtung der nach ihm benannten Stiftung: „Diese Stiftung stellt sich die Aufgabe, Spezialwissenschaften zu überbrücken und aus entsprechenden Wissenschaftszweigen und Kulturkreisen das Gesamtbild des Menschen zu gestalten … ein Bild, das durch ungeheure Spezialisierung verloren gegangen ist, eine Stiftung, die im Zeitalter des Materialismus ausnahmsweise nur ethischen Werten dient“. Damit nahm eine hanseatische Grundüberzeugung bleibende Form an, die Reimers bereits 1911 im Alter von 23 Jahren seinem Tagebuch anvertraut hatte: „Ich will ein gebildeter, angesehener Kaufman werden … erfolgreich, um Kunst und Wissenschaft mit Mitteln zu helfen, um auch dadurch mein Teil zur Entwicklung der Menschheit beizutragen“. Über Zeiträume und Erdteile hinweg hielt Reimers diesen Gedanken offenbar präsent – 1913 hatte er sich mit einem entsprechenden Brief aus seiner Geburtsstadt Yokohama an einen Verleger in München gewandt und Anfang 1956 aus Bad Homburg an die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft mit der Anregung, eine Stiftung einzurichten.
Seinem persönlichen Geburtstagsgeschenk an die Gesellschaft sicherte er Einkünfte aus den Unternehmensgewinnen seiner Firma „P.I.V. Antrieb Werner Reimers GmbH & Co. KG“ zu. Bei Reimers‘ Tod 1965 wurde die junge Stiftung Universalerbin, das private Anwesen Reimers‘ in Bad Homburg ging in deren Eigentum über wie auch seine seit Anfang des 20. Jahrhunderts sorgfältig zusammengetragene Ostasiatica-Sammlung.
Die ersten Jahre der Stiftung (1963 – 1971)
Beraten von Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Gesellschaft baute Reimers die Stiftung auf. Dazu zählten Helmuth Pleßner, Ludwig Raiser und Carl-Friedrich v. Weizsäcker. Mitglieder des Verwaltungsrats wurden Carl-Hans Barz, Karl Schürrle und Erich Junne; Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates Ernst Benz, Max Knoll, Helmuth Plessner, Adolf Portmann und Thure Uexküll. Helmut de Terra, Geologe, Paläontologe und zeitweilig Kollege von Teilhard de Chardin, übernahm die Aufgaben des geschäftsführenden Direktors.
Bei Reimers’ Tod erhielt die gemeinnützige Stiftung seine Beteiligung an der P.I.V. Werner Reimers Getriebe GmbH & Co. KG. Das Stiftungsvermögen wuchs entsprechend und somit die Förderkraft. Die Stiftung errichtete neben der Villa des Stifters ein Tageszentrum für Wissenschaftler. 1968 wurde zum Vorstand berufen Prof. Dr. Konrad Müller, ehemaliger Staatssekretär im Niedersächsischen Kultusministerium; Helmut Coing, Professor für Römisches und Bürgerliches Recht sowie Gründer und Leiter des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, wurde Vorsitzender des Verwaltungsrats
Die Blütezeit der Stiftung (1972 – 1994)
Das Tagungszentrum wurde 1972 in Bad Homburg eröffnet. Dies ermöglichte den wissenschaftlichen Gästen der Stiftung ein intensives und produktives Arbeiten. Die Reimers Stiftung bot den Teilnehmern außerdem umfassende Organisationshilfe und finanzierte Reisen, Unterkunft und Verpflegung.
In diesem Zeitraum konkretisierte sich die Wissenschaftsförderung der Stiftung. Jährlich fanden rund 60 Tagungen mit bis zu 25 Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern statt. Einige dieser „Studiengruppen“ und „Arbeitskreise“ arbeiteten viele Jahre lang kontinuierlich zusammen und trafen sich regelmäßig auf jeweils drei bis vier Tage in Bad Homburg. Die Themen sowie die späteren Publikationen der Forschungsgruppen zeigen, welche Fragen für die Geistes- und Sozialwissenschaften bedeutsam waren; sie haben ein Stück bundesrepublikanische Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Zu den Gruppen zählten „Poetik und Hermeneutik“ oder der „Arbeitskreis Moderne Sozialgeschichte“, Wissenschaftler und Praktiker des Projekts „Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches“ oder die Editionsexperten der Historisch-Kritischen Ausgabe der Schriften von Max Weber.
1976 gab die Stiftung sich eine neue Satzung im Sinne einer Balance zwischen dem von Reimers formulierten Stiftungsauftrag und den in den Jahren seit 1968 gemachten Erfahrungen bei der Förderung der Wissenschaften. Der Zusatz im ersten Stiftungsnamen - „für anthropogenetische Forschung“ - entfiel. Der Stiftungszweck wurde offener gefaßt, und der Wissenschaftliche Beirat als eigenständiges Organ mit der Betreuung der wissenschaftlichen Arbeit beauftragt.
1979 folgte auf Konrad Müller als Stiftungsvorstand Konrad von Krosigk, 1986 auf Helmut Coing als Vorsitzender des Verwaltungsrats Prof. Werner Knopp, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dem Wissenschaftlichen Beirat gehörten im Laufe der Jahre an Alfred Gierer (Physiker und Biologe), Theo Herrmann (Psychologe), Reinhart Koselleck (Historiker), Wolf Lepenies (Soziologe), Rainer Lepsius (Historiker), Odo Marquard (Philosoph), Wulf Schievenhövel (Humanethologe), Elisabeth Ströker (Philosophin), Gisela Trommsdorff (Sozialpsychologin), Harald Weinrich (Literaturwissenschaftler) u.a..
Eingeschränkte Stiftungsarbeit (1995 – 2005)
Die 198oer Jahre bedeuteten für die P.I.V. Antrieb Werner Reimers GmbH & Co. KG einen allmählichen Verlust des technischen Vorsprungs und kontinuierlichen Rückgang der Erträge. Es sollte der Geschäftsführung der Firma nicht mehr gelingen, dem von Werner Reimers zur Marktreife entwickelten Patent der stufenlosen Getriebe (P.I.V.) vergleichbar ertragsstarke Erfindungen folgen zu lassen. Ende der 1980er Jahre schlug sich das auf die Einkünfte und Erträge der Reimers Stiftung nieder; sie sah sich gezwungen, ihre Förderaktivitäten einzuschränken. Die Zahl der geförderten Tagungen am Wingertsberg ging von 1995 bis 2001 kontinuierlich zurück; die Reisekosten der Tagungsteilnehmer wurden nur noch partiell erstattet werden. Um das Tagungszentrum mit seiner Infrastruktur zu erhalten, wurde es vermehrt anderen Einrichtungen für Tagungen und Konferenzen bereitgestellt.
Im Verein mit Förderpartnern wie dem Bundesforschungsministerium lotete die Stiftung mit den „Werner Reimers Konferenzen“ neue Felder und Arbeitsformen aus. Dabei wirkten die Professoren Klaus Günther, Michael Lackner, Shalini Randeria, Heinz-Ulrich Reyer, Reinhard Schulze, Rudolf Stichweh, Hans Uszkoreit, Michael Werner und andere mit. Die Schriftenreihe „Suchprozesse für innovative Fragestellungen in der Wissenschaft“ hielt Ergebnisse davon fest. Deren Themen spiegeln zentrale Aspekte der Geistes- und Sozialwissenschaften in jenen Jahren wider: die Entwicklung von Leitfragen und Grundbegriffen für fächerübergreifende Regional- Wissenschaften („regional studies“), der „cultural turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die Auswirkungen der Globalisierung auf Recht, Kultur und Gesellschaft. Ein Verwaltungsbeirat begleitete das Projekt, der aus Fachleuten der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Bundesforschungsministeriums, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, der Max-Planck-Gesellschaft, des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, der Volkswagenstiftung, des Wissenschaftskollegs zu Berlin und des Wissenschaftsrats bestand.
2001 jedoch mußte die P.I.V. Antrieb Werner Reimers GmbH & Co. KG schließlich Insolvenz anmelden. Die verfügbaren liquiden Mittel der Reimers Stiftung versiegten; Mitte 2001 stellte sie ihre Förderungsaktivitäten ein. Nach geharnischter Intervention ihres Wissenschaftlichen Beirats und einer Aufforderung der Stiftungsaufsicht nahmen die Verantwortlichen der Reimers Stiftung (neben Werner Knopp als Vorstand Dr. Otto Gellert als Vors. des Verwaltungsrats) 2004 ihre Arbeit in deutlich reduziertem Umfang wieder auf. Sie unterstützte einige wissenschaftliche Tagungen an anderen Orten.
Dem Wissenschaftlichen Beirat gehörten an Alfred Gierer (Physiker und Biologe), Theo Herrmann (Psychologe), Michael Lackner (Sinologe), Dieter Langewiesche (Historiker), Wulf Schiefenhövel (Humanethologe), Elisabeth Ströker (Philosophin) und Gisela Trommsdorff (Sozialpsychologin).
Neuanfang, das Forschungskolleg Humanwissenschaften (seit 2006)
Die Wende wurde durch eine Initiative der Goethe – Universität 2006 ausgelöst. Auf Vorschlag von deren Präsidenten, Prof. Steinberg, beteiligte sich die Reimers Stiftung an der Gründung des „Forschungskollegs Humanwissenschaften“ mit dem Ziel eines kleinen „Institute of Advanced Studies in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Mit maßgeblicher Förderung der hessischen Landesregierung, des Hochtaunuskreises und der Stadt Bad Homburg entstand an der Stelle der alten Tagungsstätte der Reimers Stiftung ein neues Kolleggebäude. Anfang 2007 übernahm der langjährige Oberbürgermeister der Stadt, Wolfgang R. Assmann, den Vorstand und trieb die Errichtung des Kollegs für die Stiftung voran.
Prof. Werner Knopp, der sich für die Stiftung über lange Jahre engagiert hat und für sie den Anstoß gab, sich am geplanten Forschungskolleg zu beteiligen, wurde zu deren Ehrenvorsitzendem ernannt.
Im Wintersemester 2008/´09 nahm das Forschungskolleg seine Arbeit auf; seither kommen Bad Homburger Wingertsberg wieder Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in interdisziplinären Forschungsgruppen zusammen, um Grundfragen von Wissenschaft und Forschung zu behandeln und Ansätze für weiterreichende Forschungsprojekte auszumachen. Die Reimers Stiftung unterstützt das Forschungskolleg Humanwissenschaften durch regelmäßige Förderung und Mitwirkung in dessen Gremien.
Mitglieder des Verwaltungsrats sind StM a. D. Ruth Wagner (seit 2008, Vors. 2011), Prof. Gisela Trommsdorff (seit 20.. ..), Dr. Gerhard Waldheim (seit März 2011) und Dr. Stefan Ruppert (seit Januar 2012). Wolfgang Assmann wurde 2014 für seine Verdienste um den Wiederaufbau der Reimers Stiftung und seine prägende Mitwirkung bei der Errichtung des Forschungskollegs zum Ehrenmitglied des Verwaltungsrates ernannt.
Im April 2014 wurde Vorstand der Stiftung Dr. Albrecht Graf von Kalnein.
Ende des gleichen Jahres konnte der Wissenschaftliche Beirat wieder eingerichtet werden, dem angehören Prof. Dr. Thomas Duve, Dr. Wilhelm Krull, Prof. Dr. Volker Mosbrugger und Prof. Karen Shire, Ph. D.
Anmerkung:
Die Zitate wurden entnommen dem Band Wegmarken. Werner Reimers und seine Stiftung in Briefen und Dokumenten. Hg. von der Werner Reimers Stiftung. Frankfurt a. M., Henrich 2o15.